Frauen, fasst Euch an!
Aktualisiert: 10. Juni 2022
Ein Text von Nathalie S. erschienen in der 3. Ausgabe des Perfumed Garden Magazins "Neue weibliche Lust"

Foto: Imago
Es gibt ungefähr drei Milliarden Statistiken darüber, wie oft Frauen masturbieren im Vergleich zu Männern. Es ist nicht nötig, denen noch eine weitere hinzuzufügen. Sie alle kommen letztlich zu dem Ergebnis, dass Frauen generell weniger masturbieren als Männer und dass junge Frauen mehr masturbieren als ältere. Dann gibt es noch Aussagen dazu, dass weniger als die Hälfte der Frauen durch das Masturbieren regelmäßig zum Orgasmus kommen. Das sind aber immer noch mehr als durch penetrativen Sex zum Orgasmus kommen. Der Prozentsatz ist noch geringer. Und da fängt es an, betrüblich zu werden. Da möchte ich anfangen, davon zu predigen, dass ihr euch bitte anfassen sollt, liebe Frauen.
Ich weiß nicht, warum Männer masturbieren. Ich weiß nicht, ob das Klischee von der ewig und immer präsenten männlichen Lust, die regelmäßig ein Ventil braucht, wirklich stimmt. Ich weiß nicht - nicht genau - was Männern Lust macht und warum. Vielleicht ist es wahr, was über männliche Lust gesagt und geschrieben wird: dass sie nie schläft, dass sie direkt und visuell ist und zweckgebunden. Gebunden an den Zweck des ewigen Drangs nach Fortpflanzung. Ich weiß diese Dinge nicht, also kann ich über die männliche Lust an der Selbstbefriedigung nicht viel sagen. Ich denke auch, dass es nicht nötig ist, darüber viel zu sagen, denn es wurde und wird bereits sehr viel darüber gesagt. Männliche Lust ist etwas sehr Präsentes. Sie wird diskutiert, sie wird immer und überall stimuliert. Sie ist Verkaufsargument, soziales Ereignis und Grund für alles von der persönlichen kleinen Lebensentscheidung bis hin zum Länder umspannenden Krieg. Glauben Sie nicht, das mit dem Krieg? Lesen Sie mal bei Menelaus und Helena von Troja nach.
Weibliche Lust ist im Vergleich etwas sehr viel weniger Präsentes. Weibliche Lust diktiert nicht das Schicksal von Nationen. Sehr lange war man sogar überzeugt davon, dass sie als solche nicht existiert. Dass sie etwas ist, das immer von männlicher Präsenz entzündet, geleitet, bestimmt wird. Ist keine männliche Lust präsent, gibt es auch keine weibliche. Die erste bedingt die zweite, so dachte man.
Dass Frauen eine ganz eigene Lust haben, eine, die für sich selbst existiert, die ihren eigenen Regeln folgt, die ebenso einfach DA ist wie die männliche, auch wenn sie sich ganz anders äußern mag, das ist ein Thema, das noch nicht so lange diskutiert wird, wie man es sich vielleicht wünschen würde.
Weibliche Lust existiert in Wellen. Sie kommt und geht, wie alle Rhythmen, die die weibliche Existenz bestimmen. Anschwellend, abschwellend, mal ein kleines Flämmchen, dann ein Flächenbrand. Ein Auf und Ab anstatt eines gleichbleibenden Stroms.
Ein weiblicher Orgasmus ist nicht so einfach zu erreichen wie ein männlicher. Die allermeisten Männer, die Hand an sich legen, wissen, was zu tun ist, um sich selbst zum Höhepunkt zu bringen. Und wann das erreicht wurde, ist für die allermeisten Männer gut erfühl- und erkennbar. Die weibliche Anatomie dagegen gibt vor, dass die Wege zum ultimativen Lustmoment im Verborgenen liegen. Es müssen Pfade beschritten werden, die nicht klar vor uns liegen. Wir müssen tasten, fühlen, erahnen, spüren. Wir müssen ausprobieren, wahrnehmen, im Dunklen tappen.
Keine zwei Frauen sind gleich
Natürlich ist der grobe Aufbau den Genitals bei allen mehr oder weniger identisch. Mons pubis, Vulva, äußere Labien, innere Labien, Vagina. Aber das ist nur eine sehr grobe, ungenaue Landkarte durch die weibliche Lustlandschaft. Allein die Position, die Lagerung und die Erreichbarkeit der Klitoris, dieses kleinen, feinen Spitzchen des weiblichen Lusteisbergs, variiert von Frau zu Frau. Bei den einen vorwitzig und herausragend positioniert, bei den anderen geheimnisvoll verborgen in den Falten der Klitorisvorhaut und der Labien. Kleine pralle Perle oder empfindliches, flächiges Areal. Viele Varianten sind möglich.
Was macht das mit mir, wenn ich mich anfasse? Ist es eine sinnliche Liebeserklärung an mich selbst? Ist es manchmal vielleicht auch verzweifelter, zuweilen gar rabiater Druckabbau, der sich gar nicht mal so sehr von der männlichen Selbstbefriedigung unterscheidet?
Kennen Frauen das etwa auch, eben noch am Küchentisch Kartoffeln geschält und plötzlich ein Gefühl, das einen durchzuckt dort unten und der Gedanke, jetzt dringend etwas tun zu müssen. Rasch ins Bad verschwinden, Tür verriegeln, Wasser laufen lassen, damit niemand das Stöhnen hört und dann eine hektische Hand im Höschen, die Erleichterung verschafft? All dies, ja. Weibliche Masturbation kann hektisch sein und grob und schnell und wenig zärtlich, genau wie männliche. Aber sie kann auch jenes viel besungene langsame, genießerische Kennenlernen des eigenen Körpers sein, das Frauen so gern und oft empfohlen wird auf der Suche nach dem eigenen Orgasmus.
Viele Frauen kommen beim Sex mit dem Partner nicht. Schade, denke ich immer, wenn ich davon lese. Warum nicht? Mangelnde Kenntnisse des weiblichen Körpers - und war auf Seiten der Frau ebenso wie auf Seiten des Mannes - gepaart mit zu wenig Kommunikation. Frauen sagen nicht ,was sie brauchen um zu kommen und Männer fragen nicht. Noch immer spielt da Scham eine ganz große Rolle. „Was gefällt dir?“ und „Komm ich zeig dir…“ sind noch immer nicht genügend verbreitete Ansätze, wenn zwei das Bett teilen. Dabei ist es einer der erotischsten und intimsten Momente zwischen zwei Menschen, die Lust des Partners mitzuerleben oder sie sogar auszulösen. Der Kick, den Partner oder die Partnerin zum Kommen zu bewegen, ist ebenso groß wie der, selbst zum Höhepunkt zu kommen.
Was gefällt dir?
Um diese Frage beantworten zu können, muss eine Frau sich selbst studieren. Sich sinnlich erfahren. Die eigenen Hände benutzen, um den eigenen Körper zu spüren. Die Anatomie ist eine Sache, aber wie reagiert diese Anatomie auf Berührung? Die kleine Spitze des Lusteisberg ist eine Sache, aber wie reagiert der Rest? Das Drumherum? Bin ich, was meine Lust betrifft, nur meine Klitoris oder bin ich viel mehr? Bin ich die ganze empfindliche, weiche, feuchte fleischige Haut in meinem Schritt, bin ich meine harten Nippel, in die ich mich selbst gern kneife dabei, bin ich die Gedanken an den gesichtslosen Mann, an den gut aussehenden Nachbarn, die Zunge der hübschen Arbeitskollegin, die mir durch dien Kopf schießen, wenn ich mich selbst anfasse?
Ich bin ich, auch und gerade wenn ich mich selbst liebkose. Ich mache es, weil ich Lust habe. Lust auf mich selbst, Lust an mir selbst. Ich seufze wie ein Filmsternchen oder grunze gierig wie eine Wildsau im Unterholz dabei. Ich lache über mich selbst dabei und manchmal kommen mir die Tränen. Manchmal sehe ich Sterne vor Lust und manchmal verreckt mir das Ding auf halber Strecke und ich weiß nicht, warum.
Ich masturbiere, weil ich Bock drauf habe
Ich masturbiere, weil mein Liebster nicht hier ist und ich irgendwo hin muss mit meiner Lust auf ihn. Ich masturbiere, weil ich Sexfantasien im Kopf habe. Ich masturbiere, weil allein tanzen einfach manchmal Spaß macht. Ich kann mich dabei wild verrenken, ich muss auf niemanden Rücksicht nehmen und ich höre erst auf, wenn ich durchgeschwitzt und müde bin. Ich stecke Finger in mich rein oder Gegenstände, ich mache alles schön glitschig, ich streichle, massiere, kitzle und kneife. Ich bin brutal mit mir selbst oder zärtlich. Ich fasse mich an. Weil ich es mag.
Sinnlichkeit mit dem Partner oder der Partnerin zu erleben, ist wunderschön und bereichernd. Sinnlichkeit mit sich selbst zu erleben ist die Basis von allem.